Unger’s Experiment glänzend gelungen

1931 Neue Freie Presse

Mister Murphy, einer der besten Londoner Zuschneider, demonstriert bei Unger den neuen englischen Stil in Herrenkleidern. – Er erklärt die Kombination von englischem Schnitt mit der ausgezeichneten Wiener Näharbeit als das absolut Ideale.

Murphy

Im großen Schneidersaal des Hauses Unger hat der englische Zuschneider G. W. Murphy vor geladenen Gästen den neuesten Londoner Stil demonstriert. Der Prinz of Wales hat ihn eingeführt und er entspricht denn auch ganz dem freundlichen und umgänglichen Wesen dieses Fürsten: es ist der Stil der Bequemlichkeit. Anfangs haben die Londoner Westenschneider diese Bequemlichkeit einfach dadurch erreicht, daß sie den Rücken weit schnitten und zwei Falten unter den Achseln in den Kauf nahmen. Die sind aber alles andere als schön, und so hat man nach einem Schnitt suchen müssen, der ohne diese Falten dem Rücken die erforderliche Weite gibt. Denn nur auf den Rücken kommt es an. Man denke einmal an sich selbst, wie jede Bewegung der Arme nach vorne geht, ob man nun schreibt oder liest, ißt oder trinkt, Golf spielt etc. Nie gehen die Arme nach hinten, immer nur nach vorn. So entstand das Problem: das Sakko muß hinten nachgeben, also weit sein, ohne aber Falten zu schlagen, und dabei muß der Gesamteindruck ein adretter sein, als ob das Sakko am Körper anliege, ohne es jedoch zu tun. Erreicht wird das heute mit einem raffinierten Schnitt der Brust, die herausgearbeitet wird, wodurch für das Auge eine betonte Taillenlinie hervortritt. Aber nur für das Auge, in Wirklichkeit ist das Sakko auch in der Taille bequem.

Dieser Schnitt hat noch einen großen praktischen Vorteil. Es ist klar, daß ein eng anliegendes Sakko bei jeder Bewegung aus der Fasson gezogen wird und sie darum schnell verlieren muß. Bei dem neuen Schnitt geht der Stoff mit, wird nicht angestrengt, und die Fasson hält sich viel länger.

Die Ausführungen des Engländers waren sehr leicht verständlich. Die Gäste waren so interessiert, daß einige Herren selbst die Sakkos anprobierten. Jeder war erstaunt, wie leicht man sich darin bewegt, und daß man dabei doch darin aussieht „wie aus dem Ei gepellt“.

Ein besonderes Lob spendete Mister Murphy der Wiener Näharbeit. Nach seiner Meinung ist die Fertigstellung der Kleider seitens der Nähschneider des Hauses Unger viel besser und solider, als man es in London gewöhnt ist. Dabei kann sich dieser große Fachmann, der für fast alle lebenden Könige und Potentaten gearbeitet hat, sicherlich ein Urteil anmaßen.

(Neue Freie Presse vom 14.3.1931, Seite 3)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert